8 Kommentare
Avatar von User
Avatar von Conrad Knittel

Wow. Das ist ein beeindruckender Artikel und eine gut nachvollziehbare Geschichte, die Du erzählst. Es gäbe Vieles zu kommentieren :) Vielleicht erst einmal: Ich selbst war auf der Uni, und hatte das Glück, so gerade noch nach alter Studienordnung auf Lehramt zu studieren (in Heidelberg) -- was hieß, dass ich in meinen Fächern im Durchschnitt nur einen Schein pro Semester machen musste, und insgesamt problemlos 7 Jahre studieren konnte. Zudem gab es "damals" (2008-2015) viele Dozenten "vom alten Schlag", zumindest in meinen Fächern (Englisch und Philosophie). In den Philosophie-Seminaren, die ich besuchte, ging es den Dozenten meistens wirklich darum, dass wir lernen, uns mit einem Text gründlich auseinander zu setzen. Das heißt, wir lasen kurze Texte langsam (in manchen Seminaren waren es nur 20 Seiten für das ganze Semester), und mein Lieblingsdozent wollte nicht einmal, dass wir in unseren Hausarbeiten Sekundärliteratur nutzten. Für mich geschah der "Ausstieg" aus dem System dann aber mit der Promotion, weil ich schnell mitkriegte, in was für ein Hamsterrad man gerät, aus dem man selbst als Prof. nicht so richtig wieder herauskommt. Was schade ist, weil ich glaube, dass junge erwachsene Menschen in Philosophie zu "unterrichten" (sprich: zu begleiten bei ihrem eigenen Erkenntnisstreben) genau mein Ding wäre :)

Aktuell dümpel ich ein wenig im Limbo meiner Elternzeit herum, will nicht zurück an die staatliche Schule, weiß aber auch nicht so recht, wohin ich mich genau wenden sollte, und weil ich seit meiner Kindheit Schriftsteller sein wollte, habe ich dann erstmal ausprobieren wollen, auf Substack zu veröffentlichen. Als Testlauf sozusagen, ob es sich richtig anfühlt.

Am Ende meines Studiums habe ich übrigens Rudolf Steiners Die Philosophie der Freiheit entdeckt und von dort aus dann die meisten seiner veröffentlichten Bücher gelesen und einige der Vortragszyklen. Sehr beeindruckend. Parallel dazu habe ich den Yoga von Heinz Grill entdeckt, der sich stark an Rudolf Steiner in seiner Terminologie und Forschungsart orientiert und in Italien eine "Freie Spirituelle Hochschule" aufbaut, die sehr wenig an eine Universität im schlechten Sinne erinnert. Falls es dich interessiert, kannst du dir ihre Seite mal anschauen: https://yoga-und-synthese.de

Ich werde mir mal die Angebote anschauen, die du im Artikel erwähnt hast! LG Conrad

Expand full comment
Avatar von Paul Anouk Leo

Danke für‘s Teilen Conrad!

Jetzt bin ich neugierig geworden: Was ist das für ein Hamsterrad, von dem du sprichst?

Mir geht’s ähnlich wie dir. Ich wäre gerne lehrtätig (gerne auch im akademischen Bereich) und versuche noch, die richtigen Orte auszumachen, an denen das funktioniert. Wünsch dir da viel Erfolg!!

Ich werd mir die Hochschule von Heinz Grill unbedingt anschauen! Danke für den Hinweis.

Es gibt ja heute recht viele (und zunehmend mehr!) Alternativen zum herkömmlichen Studium. „Mystery Schools“, „Wisdom Schools“ und dergleichen (auch mit weniger hochgestochenen Namen^^), mit unterschiedlichsten Schwerpunkten. Wirklich tolle Projekte, die natürlich konzeptuell noch am Anfang stehen. Das Problem dieses Übergangs (wenn man ihn als solchen deuten möchte) ist dann das des Wertes… was hat Wert in der heutigen Gesellschaft bzw. was hat Bedeutung für die Welt, in der wir leben wollen? Und genau da kommt die Verantwortung und Entscheidungsfreude ins Spiel. Wert entsteht ja in der Gesellschaft erst dann, wenn wir „so tun als ob“ bzw. so tun, wie es uns am Herzen liegt.

Alles Liebe, Paul

Expand full comment
Avatar von Conrad Knittel

Das Hamsterrad ist, dass du ständig Geld und Stellen hinterherlaufen musst. Als Promovierender brauchst du eine (meistens halbe) Stelle, die sind in den Geisteswissenschaften relativ rar, oder ein Stipendium. Da musst du meistens jedes Jahr beweisen, dass die Investition in dich sich gelohnt hat. Danach brauchst du eine Post-Doc Stelle, die wieder befristet ist, um dann zu habilitieren, um dann eine der Professorenstellen zu ergattern, andernfalls gibt es so gut wie keine Festanstellungen, d.h. du bist im ständigen Publikations- und Konkurrenz-Druck. (Was nebenbei die wissenschaftlichen Ergebnisse schlechter, nicht besser macht.) Und dann als Prof brauchst du, sobald du ein Forschungsprojekt initiieren willst, wieder Geld, d.h. Anträge schreiben, Drittmittel gewinnen. In manchen Fächern (Informatik, Maschinenbau, etc.) ist das einfach, in der Philosophie aber nicht unbedingt. Und so richtig frei, einfach dein Ding zu machen, bist du dann auch nicht.

Das war mir echt zu dumm. Als Lehrer zu arbeiten war mir aber auch schnell langweilig, darum hatte ich nach einem Jahr wieder um meine Entlassung gebeten, und eben doch ein Promotionsprojekt entworfen, zusätzlich an meinem Roman gearbeitet und eine Yogalehrerausbildung begonnen. Und dann kamen aber recht schnell Kinder, wir sind umgezogen, ich brauchte wieder Geld und hab wieder als Lehrer angefangen. Jetzt denke ich wieder darüber nach, mich entlassen zu lassen xD Aber vllt diene ich auch noch ein, zwei Jahre. Aber bis November bin ich so oder so noch in Elternzeit.

Expand full comment
Avatar von Paul Anouk Leo

Ja, das kommt noch dazu. Danke für deine Erfahrungen und Einsichten.

Das sind natürlich nochmal bereichsspezifischere Schwierigkeiten, die sich da auftun. Und ich kann das vollstens nachvollziehen. Mir geht’s immer wieder ähnlich, auch mit pädagogischer Ausbildung (inkl. dem Selbststudium von Steiners pädagogischen Ansätzen) und persönlichem Interessensschwerpunkt in den Geisteswissenschaften.

Bin gespannt, wo es uns da noch entlangführt. Kinder sind bei mir noch nicht auf dem Wege, das wird dann noch einmal ein Thema für sich sein ;)

Ganz lieben Gruß!

Expand full comment
Avatar von Susanne Wolf

Danke Paul, für diesen wunderschönen und berührenden Text! Ich bin überzeugt davon, dass deine Generation letztendlich einen Unterschied machen wird. Du schreibst: "Ich wünsche mir, darin begleitet zu sein, von Männern und Frauen, von Mentoren und Mentorinnen, die bereit sind, ihre Weisheit und ihr Wissen weiterzuschenken." Als freie Journalistin und Autorin, Querdenkerin und Mutmacherin biete ich mich gerne als Mentorin an. :-)

Expand full comment
Avatar von Paul Anouk Leo

Danke, liebe Susanne, für deine Worte!

Zu deinem Angebot: auch und vor allem dafür ein großes Dankeschön. Das erinnert mich an die warmen Hände meiner Ahnen, die mir auf dem Rücken liegen und mir ein Gefühl des Gehaltenseins geben. Diese Mentor:innen-Begegnungen haben sich für mich bisher sehr organisch gefügt, oft durch einen Ruf in eine Richtung und mein Bekenntnis, dass ich mir Unterstützung und Begleitung in einem bestimmten Prozess wünsche. Es tut so gut zu erleben, dass die Generationen sich darin wieder begegnen können. Also danke für dein „Entgegenkommen“. Vielleicht wende ich mich einmal mit einer Frage an dich! Bis dahin liebe Grüße, Paul

Expand full comment
Avatar von Bernhard Erne

Ich teile das WOW von Conrad! Ein starker und sehr eigener Weg! Was Schule und Uni betrifft, habe ich ähnliche Erfahrungen gemacht, u.a. viel – nein: fast nur – warme Luft von Studis, die bei Fragen des Prof. klug zu Decke schauten ...

Als Schulmusiker an Gymnasien war ich dann nur zum Teil im üblichen Hamsterrad, hatte immer wieder auch motivierte und sehr gute Schüler und Klassen. Auch die dekadente Bildungspolitik seit "Bologna" konnten wir recht gut "abfedern".

Zu Grill: Bin ziemlich erschrocken damals. (Diametral entgegengesetzt zu Steiner.) Muss aber gestehen, dass ich nicht mehr genau sagen kann, was mich zu dezidiertem "Finger weg" hat kommen lassen. (Drum schweigt "der Sänger". ) Hatte jedenfalls auch mit der Verehrung durch seine "Jünger" zu tun. Also anschauen und wach bleiben. Das gilt ja sowieso überall.

Liebe Grüße euch!

Expand full comment
Avatar von Conrad Knittel

Wann war denn "damals"? :) Ich kenne Heinz Grill seit 2015, und ich erlebte sehr viele Parallelen zu den letzten Lebensjahren Rudolf Steiners, insbesondere die Anfeindungen von außen (Sektenvorwurf) und der Mangel an Selbstständigkeit der Schüler (bei Steiner z.B. die Appelle an die Mediziner doch ein vademecum zu verfassen, was er dann letztlich doch selbst zusammen mit Ita Wegmann ausführen musste, oder auch der mangelhafte Schutz des ersten Goetheanum).

Es gab bei Heinz Grill beginnend in den 90er Jahren einen riesigen Konflikt mit einem Ärztepaar aus München. Das hat unglaublich viel Chaos und Zerstörung angerichtet. In den letzten Jahren, so mein Eindruck, hat sich das ein Stück weit gelegt, bzw. Aufbauprozesse in Italien finden statt, vor allem seit der Corona-Zeit. (Mein Eindruck: Überwindung des Bösen erschafft große Kräfte!)

Wie früh und korrekt Heinz Grill das Geschehen um Corona schon dargestellt hat, ist -- finde ich -- sehr beeindruckend. Auch sein Bemühen, mit anderen Schulen und auch anderen Diskursen in Dialog zu treten, kommt mir im Vergleich zu den Anthroposophischen Kontexten, die ich erlebt habe, erfrischend vor. (Bei den Anthros hatte ich oft den Eindruck, dass sie es zwar immer interessant finden, wenn andere Rudolf Steiner rezipieren, aber andersherum wenig Interesse zeigen, dann auch bspw. den Buddhismus/Taoismus wirklich zu studieren, und bei den Waldorfschulen hatte ich den Eindruck, dass sie Rudolf Steiner eigentlich "rausgeschmissen" haben, aber ich habe natürlich kein breites Bild, und ich will ganz sicher die Anthroposophische Bewegung nicht schlecht machen, ich verdanke ihr sehr viel, vor allem durch Peter Selg und Sergej Prokofieff. Ich erlebe nur eben eine gewisse Abgeschlossenheit nach Außen.)

Seit ca. zwei Jahren veröffentlicht Heinz Grill wöchentlich Meditationsbriefe, die fast immer auf die Bhagavad Gita und/oder Rudolf Steiner Bezug nehmen. Vielleicht lohnt sich eine zweite Betrachtung.

Ich selbst jedenfalls habe meinen Zugang zu Rudolf Steiner über Heinz Grill gefunden, und ich hatte damals, 2015, nachdem ich sein Buch "Die Seelendimension des Yoga" "gelesen" hatte, das Gefühl, ich müsste mir jetzt doch mal anschauen, ob das ein verwirrter Spinner ist, oder nicht (ich war damals sozusagen noch materialistischer Atheist mit großer Sehnsucht nach dem Geistigen). Also fuhr ich hin und hatte das Gefühl, dem gedanklich klarsten Menschen gegenüberzustehen, dem ich je begegnet war. Ich habe mich auch immer vollkommen frei gelassen gefühlt.

Es ist aber natürlich richtig, dass es nicht den einen richtigen Weg für alle Menschen, also auch nicht den einen richtigen Lehrer gibt. Das ist bei Rudolf Steiner ja auch nicht anders. Manchen (wie uns) ist er unglaublich sympathisch, anderen antipathisch. (Wobei die naive Sym- und Antipathie ja zu überwinden wäre.) Viele Menschen im Westen zieht es zur östlichen Spiritualität, und andersherum verbreiten sich manche Formen des Christentums rasant in Asien. (Ich meine, Steiner hat auch einmal zu seiner Zeit ausgeführt, dass eine Art Ringtausch stattgefunden hat, und viele christliche Persönlichkeiten nun in Asien, viele asiatische in Amerika, und viele indianische in Europa inkarniert seien. Ich denke, dass es aber eigentlich darum ginge, das Verbindende zwischen diesen Kulturen (im Sinne der kommenden Einheit der Religionen) zu finden, und nicht der aktuellen zu entfliehen, um es sich in der vergangenen gemütlich zu machen.) Wichtig scheint mir im spirituellen Kontext ein klarer eigener Stand zu sein, aus dem heraus dann ein hohes Maß an Toleranz und Neugier den anderen Traditionen gegenüber entsteht. Und dieses Ideal finde ich persönlich in Heinz Grill sehr gut verkörpert. (Ich möchte nicht Werbung für ihn machen, mir ist nur wichtig, ganz klar zu machen, dass ich Heinz Grill als bedeutende christliche Persönlichkeit wahrnehme, der ich -- wie Rudolf Steiner -- sehr viel verdanke, und die ich auch ein Stück weit -- ebenfalls wie Rudolf Steiner -- verehre und vertraue. Aber ich denke nicht naiv vertraue, sondern aufgrund meiner eigenen forschenden Auseinandersetzung mit ihren Biografien, ihrem Werk, und ihren Schriften.)

Sorry, dass es ein bisschen lang geworden ist. Ich hoffe, es erfüllt seinen Zweck :) LG aus Belgien Conrad

Expand full comment